"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun."
In solchen Momenten des jugendlichen Übermutes, der anschwellenden Trunkenheit, oder des zeitweiligen Vollverlust unseres Verstandes lassen sich die Mitglieder der couragierten Knallgas-Gang aus dem Lande der Sieger gerne mal dazu hinreißen, sich für den als härtesten Hindernislauf Kontinentaleuropas beworbenen "Getting Tough - the Race" anzumelden. Über ein halbes Jahr kreiste das Damoklesschwert des 3. Dezember 2016 über unseren Nacken, und legte sich wie ein schwarzes Tuch auf unsere Seelen. Eigentlich ausreichend Zeit für zielführende Vorbereitung. Eigentlich...
Denn wie so oft kam erstens alles anders, und zweitens ins Gesicht. Tage und Wochen verstrichen und so allerlei, vor allem aber Bier, Chips und Playstation, hielten den sonst so disziplinierten Trümmerhaufen davon ab, die Muskeln zu stählen. Den moralischen Treffer, der die Vorbereitung dann vollends KO schlug, erlitten wir schließlich durch den im Funk und Fernsehen bekannten #KAS-Hauptverantwortlichen für Chicken-Wings und Kryotherapie, Ritter Dominik ohne Furcht und Tadel, der einen Monat im Voraus erhobenen Hauptes sein Fernbleiben aufgrund mangelnder Speckschutzschicht verkündete. Da warens nur noch zwei. Die Laune war im Keller wo sie hingehörte. Gleichzeitig wurde auch die Außentemperatur allmählich ans untere Tabellenende durchgereicht und negative Rückkopplung trat ein. Aber sei's drum, es half ja alles nichts. Am Nachmittag des 2.12. fuhren wir also zu unserem insgesamt 7. Lauf. Im Vorfeld mussten noch einige kritische Inventarentscheidungen getroffen werden, die zu Ungunsten von Neoprenshirts, Neopren-Handschuhen und Badekappen ausfiel. Klar, wozu auch angemessene Vorkehrungen treffen für einen Lauf im Dezember...
Wobei uns im Falle eines Neoprenunterziehers die Entscheidung vom Logistiker durch Nichtauslieferung abgenommen wurde.
Wie gerne würden wir hier schreiben, wir waren so heiß auf den Scheiß, wir hatten Glut im Stuhl. Aber dem war nicht so. Stattdessen hat einem der Angstschiss schon Tage zuvor das Mark erschüttert.
Angekommen im malerisch verschlafenen Weischwitz, dass günstigerweise einige Kilometer von der Hölle in Rudolstadt entfernt liegt und sich noch immer nach Breitband-Internet und einer Busverbindung sehnt, stießen wir mit dem Onkel von Kevins Frau, unserem mehr als zuvorkommenden und gütigem Gastgeber für das Wochenende, nach einer deftigen Bolognese mit Whiskey bzw. dem obligatorischen Cab auf unseren sicheren Untergang an. Das Thermometer zeigte -7 statt der erhofften +1 Grad an, und wir fragten uns, wie wir je an diesem Punkt landen konnten. In nur 14 Monaten von "Komm, wir laufen mal 13 Kilometer bei strahlendem Sonnenschein", hin zu menschenverachtenden Himmelfahrtskommandos. Nun gut, Rückzieher standen nicht zur Debatte und außerdem waren ja Kevins Frau plus eine gute Freundin zur moralischen Unterstützung mitgereist, also galt es abzuliefern.
Nach einer unruhigen Nacht mit gerade genug Schlaf ging es dann los.
Rechtzeitig um kurz nach 0800 morgens wurde das verweichlichte Zwei-Mann-Kommando an der Bleichwiese in Rudolstadt gedroppt. In weiser Voraussicht beschlossen die Protagonisten, den eigens aus dem Westen eingeschmuggelten Sieger-Cider einfach schon vorher zu trinken. Am Ort des Geschehens angekommen ließ uns der Anblick der letzten Etappe des 24-Kilometer-Laufes postwendend die Hängenüsse an den Speckschenkeln festfrieren. Uns begrüßten wassergefüllte Baucontainer mit massiver Eisschicht, diverses Kriech- und Kletterequipment, und sonstiges spaßentkerntes Allerlei, das vom nächtlichen Frost-Furz des Teufels geküsst worden war. Kurzum, erst jetzt begriffen wir, was hier wirklich abging.
Sanitäter belächelten uns nur mitleidig, und mit anderen Läufern wurden wortlos ungläubige Blicke ausgetauscht, die in hysterischem Gelächter mündeten. Der obersten Devise "warm, warm, warm!" folgend, schritten wir ins große Anmelde-und Aufenthaltszelt, wo alle Bürokratie reibungslos vonstatten ging und wir unsere Henkersbrötchen snackten. Beim Blick durch die Menge wurde der harte Ruf des Rennens erneut klar, denn der Anteil der holden Weiblichkeit hier ging mit rund 250 Frauen von 3200 Startern gegen verschwindend geringe 8%.
Trotz deutlichem Protest unsererseits tickte die Uhr unerbittlich weiter und wir kamen nicht drumherum, die behaglich dicken Klamotten gegen das ultimative, absolut nicht kältebeständige und somit eigentlich völlig nutzlose #KAS-Outfit einzutauschen. Der darauf folgende erste Schritt zurück ins subarktische Zonenklima offenbarte diesen Mangel ganz unverfroren. Es wurde immer offensichtlicher, dass jedes noch so kleine körperliche, bekleidungstechnische oder mentale Defizit heute zu maximalem Leid kumulieren sollte. Also zurück zu Warm-Warm-Warm!
Gute Wahl, denn dort fand schlussendlich auch das Warmup-Programm statt.
Das Orga-Team ging ordentlich nach vorne und peitschte die Läuferschar mit seiner Brandrede dermaßen an, dass wir wohl auch bereitwillig in einen Krieg gezogen wären. Dass das dazugehörige Warmup aus ein bisschen auf der Stelle Hüpfen bestand, war nicht weiter tragisch, da der Effekt direkt darauf ohnehin verpuffte. Angeführt von einem ostdeutschen Piper Bill, und ein paar Gesellen in Ritterrüstung schlurfte die Brigade mit der Mannstärke unseres Heimatortes ohne Glanz und Gloria fast 2 Kilometer im Gänsemarsch gen Massenstart, der auf einer weitläufigen stattfand.
Auf einer Breite von ca 200 Metern aufgereiht froren sich 3200 Mann dem Start entgegen, begleitet von einer AC/DC Coverband, die mitsamt Bühne auf der Strecke stand. Sadistische Feuerwehrmannschaften hatten sich taktisch klug positioniert, um den Großteil der Teilnehmer schon vor Anpfiff vorsorglich klatschnass zu machen. Drei Flugzeuge, von denen zwei die Rauchdüse zugefroren war, flogen im stabilen Formationsflug über uns und direkt nach Hause vor den Kamin. Countdown, los gings!
Ein Haufen völlig Geisteskranker rannte furchtlos auf das erste riesige Krabbelhindernis zu wie die Alliierten bei der Landung in der Normandie. Die Hände und Knie auf den knallharten, durchgefrorenen Boden, und vorwärts. Die zahlreichen Zuschauer, die den Startbereich säumten, feuerten fleißig an und trieben uns zum ersten hüfttiefen Wassergraben, dessen Wände schon nach rund einer Minute so schlammig waren, dass man nichtmehr alleine rauskam. Raus, drüber, okay, nächster Graben, doppelt hält besser. Nach 500 Metern waren also alle schon zippelnass und eingesaut, und die Nummer hatte erst begonnen.
Es ging sofort bergauf, durch die Rudolstädter Outskirts und ab in die Berge. Kurz vor dem ersten Kamm gab es den Slalom, der sich nicht nur rechts-links wand, sondern gemeinerweise auch hoch-runter. Kurz nach Kilometer 3 passierte etwas Unerwartetes: das gesamte hintere Halbfeld stand still, jäh ausgebremst von einem Kletterhindernis aus 3 Holzwänden. Ein Flaschenhals, der für den Ansturm nicht angemessen ausgelegt war. Einige Ungeduldige umschifften das Hindernis, was von der ehrhaften Menge völlig zurecht mit Buh-Rufen abgestraft wurde.
Nach runden 25 Minuten Wartezeit hatte sich die erste angflutete Körperwärme verflüchtigt und aus der ehrhaften Menge war ein wieder frierender Haufen bei -6,5 Grad und nassen Klamotten geworden. Na gut. Endlich über die Walls und weiter über einen Feldweg zum Reifen tragen, dann wieder bergauf. Anfangs hatten wir die Ü1000 Höhenmeter kaum glauben wollen, nun wissen wir es besser. Der Thüringer Wald im Dezember besticht nicht nur durch aalglatt ausgetretene Trampelpfade, sondern auch durch ansehnliche Steigungen, die es in sich hatten. Nachdem wir die ersten Yetis, Ötzis, und Reinhold Messner jenseits der Baumgrenze passiert hatten, ging es glücklicherweise aber wieder herunter, bevor wir uns Sauerstoffflasche, Schneeschuhe und Gipfelkreuze aus unseren multifunktionalen Panties zaubern mussten.
Doch die Freude währte nicht ewig. Waren wir gerade wieder leicht aufgewärmt und hatten Gefühl in den Händen, standen wir bei Kilometer 7,5 schon wieder in der Warteschlange zu einem Hindernis, das aus 3 lieblos hintereinander in den Wald gestellten, leeren (!) Containern bestand. Ein uns unbekannter Mitläufer brachte es mit den Worten "Ich hab mich hier mehr unterhalten können, als dass ich gelaufen bin" ganz treffend auf den Punkt. Der hilflose Marshall konnte mangels Funkausrüstung auch keine Öffnung des Hindernisses erwirken. Bei allem Respekt, und so löblich die Grundidee ist, auch auf der Laufstrecke Hindernisse zu platzieren, aber beim härtesten Lauf Europas darf die Härte nicht dadurch entstehen, dass man mehrfach in der Gegend rumsteht und langsam auskühlt. Zumal die dafür verantwortlichen Hindernisse keinen ikonischen Charakter hatten. Das war einfach ein Griff ins Klo.
Nach dem Passieren dieser Engstelle gab's zum Trost wenigstens noch eine Banane. Die Zwischenmessung piepste bei 1 Stunde und 47 Minuten nach 7,5 Kilometern. Nach kurzem Bemühen des Dreisatz wurde uns Angst und Bange ob der voraussichtlichen Ankunftszeit. Also ein bisschen Gas geben. Das ging aufgrund der Witterung allerdings nur begrenzt, denn der schmale Trail, der nun bergab führte, war arschglatt und so dauerte es auch nicht lange bis eines von den Sani-Quads einen Mitstreiter aufsammeln musste, der gestürzt war und nicht mehr weitermachen konnte. Es folgten ca 7 Kilometer Waldlauf über eine landschaftlich und läuferisch schöne Strecke, die uns nach und nach wieder talwärts führte, bis ins örtliche Industriegebiet. Inzwischen hatten sich die Teilnehmer entzerrt, also kein Stau mehr vor den zu Überkletternden Altpapierwürfeln, die dass letzte Hindernis sein sollten, bevor es wirklich zur Sache ging. Die Strecke führte nun langsam zurück zum Festivalgelände und wir wussten, was uns in naher Zukunft bevorstand. Dachten wir.
Im beschaulichen Oberpreilipp wurde dankenswerterweise von Ortsansässigen Wasser und Tee (und Schnaps) gereicht. Die kurze Tea Time kam wie gelegen, denn zwischen der Papierfabrik und dem Örtchen fing Knallgaskevin bei Wegmarke 15 an von Krämpfen geschüttelt zu werden. Später folgten erneut die Holzwände, diesmal kein Anzeichen von Stau. Wieder runter vom Kamm, links ab um den Slalom zu entgehen, kurze Pipipause am Fluss.
Und dann, Freunde, erreichten wir mit für Läufer angenehme Körpertemperatur Kilometer 19.
Ab hier war nichts mehr wie vorher...
Die penibel durchgeplante physische und psychische Demontage begann langsam. Ehe wir uns versahen, standen wir wieder dem U-förmigen Wassergraben am Start gegenüber, diesmal sollten wir jedoch nicht quer rüber, sondern einmal schön längs durch. Das kalte Wasser raubte uns neben der noch ganz guten Laune auch jegliches Gefühl von den frostigen Nippeln abwärts, denn die Pumpen hatten den Wasserstand in unserer Abwesenheit noch etwas in die Höhe getrieben. Welch ein Glück, dass es für Nicht-Seepferdchen immerhin aufblasbare, TÜV-geprüfte Krokodilsluftmatratzen gab, die schlimmeres zweifelsohne verhindert hätten. Okay, 500 Meter Wassergraben später hatte die Therapie im medizinischen Kälteschlammbad wenigstens vorerst dafür gesorgt, dass Kevins Beine krampftechnisch Ruhe gaben, und so gings weiter auf die alte Sturmbahn. Klettern, Krabbeln, kurze Monkeybars und ein vom Himmel geschickter Feuergraben, der unsere Leiber wenigstens für einige kostbaren Sekunden wärmte, und an dem wir uns eigentlich gern etwas Stockbrotteig gewünscht hätten. Bitte nächstes Mal in Kombination mit Bier und Campingstühlen dort vorhalten. Anschließend gings eine Runde mit vergleichsweise leichten Sandsäcken um einen befestigten Parcours, bevor wir direkt ins Verderben rennen sollten.
Natürlich hatten wir im Vorfeld auf die Social-Media-Kanäle der Veranstalter gespinxt und hatten eine grobe Ahnung was da so auf uns lauern sollte. Und auch der Begriff "Saaledurchquerung" war mal durch den Äther gegeistert. Blind unserem naiven Irrglauben folgend entgleisten uns beim Anblick des nächsten Hindernis die Gesichtszüge. 2 Container, wasserbefüllt, mit Querstangen auf Pegelhöhe zum drunterdurch tauchen. Massig Wasser von oben und zu guter letzt noch ein Betontunnel, durch den zu kriechen war, natürlich nicht ohne Wasser von allen Seiten. Das war der nächste Akt der Strafe dafür, dass wir in dem Wahn gelebt hatten, wir könnten ungebrochenen Geistes am vermeintlich schlimmsten Teil des Laufes ankommen.
Wir hatten ja keine Ahnung...
Zitternd, krampfend und immer noch in ungläubigem Schockzustand eierten wir weiter zur nächsten Katastrophe. Wieviele Videos von gequälten Gesichtern, die aus Eiswasser auftauchen, hatten wir im Vorfeld bei YouTube unter einer warmen Decke auf der heimischen Couch schon gesehen. Wieviele Videos von Menschen in Rettungsdecken am Beckenrand des Freibads. Alle haben wir abgetan, "so schlimm kann das nicht werden", haben wir gemeint. "Wenn man erstmal drin ist gehts..." , haben wir gedacht. Junge, Junge. Da standen wir nun am Beckenrand, zwei schlotternde Würstchen, die genau wussten dass das hier schlimmer werden würde als alles zuvor. Sieben im Schwimmbecken aufgereihte, todbringende Baumstämme, die es alle der Reihe nach zu durchtauchen galt. Rettungsschwimmer überall. Akustisch begleitet von einem Mann, der auf einem kleinen Podest saß und diese Hungerspiele mittels Mikrofon kommentierte. Wie immer half alles nichts, wir mussten da jetzt irgendwie durch. Wir tauschten letzte verzweifelte Blicke und sprangen ins Wasser. Keine Zeit verlieren, direkt ran an den ersten Stamm und drunter durch. Die Kälte biss sich in jeden Zentimeter der Kopf- und Gesichtshaut und sorgte für Instant-Hirnfrost. Aber nicht wie wenn man einen kalten Milchshake zu schnell trinkt, nein. Tausend mal schlimmer. Der Einschlag eines Blitzes aus purem Eis in die Fontanelle. Auftauchen mit klingelnden Ohren und Tunnelblick. Weiter, müssen ja nurnoch sechs mal. Die nächsten drei zügig hintereinander, dann Pause vor den letzten beiden Stämmen, weil die Schädeldecke von innenher aufzureißen drohte, denn es wurde nicht besser je öfter man tauchte. Während wir nach Orientierung und unserem Herzschlag suchten, lobte der Kommentator oben fröhlich jauchzend das Kostüm eines anderen Teilnehmers, als sei der Pool ein Catwalk. Die letzten zwei Stämme irgendwie genommen, die Leiter hoch. Hauptsache raus aus diesem gottverfluchten Becken. Uns war so schwindelig, dass wir Mühe hatten auf dem Weg zum zweiten Becken nicht wieder ins erste zu fallen.
Wir standen also mit schlotternden Körpern, die von oben bis unten vor Kälte kribbelten vor Becken 2, prominent überspannt von zwei übereinander liegenden, verstrebten Stangen, an denen sich übers Wasser gehangelt werden sollte. Leichter gesagt als getan, denn ein kurzer Systemcheck offenbarte 2 Schwächen: erstens, Stangen so dick, dass man kaum drumgreifen konnte. Und zweitens schon gar nicht mit nassen Laufhandschuhen. Diese auszuziehen erwies sich als unmöglich. Kevin gab Gas, schwang an die Stange, griff um und segelte abwärts. Benny beendete alle sinnfreien Versuche, Halt zu finden und ging einfach direkt per Kopfsprung ins Verderben. Glücklicherweise war das zweite Becken kleiner, und somit gefühlt etwas wärmer, außerdem regnete auch einen Großteil der anderen Athleten auf uns nieder und nur wenige schafften die Überquerung mittels Magnethänden oder unter Zuhilfenahme der Füße, man musste hier also kein schlechtes Gewissen haben. Es folgte ein kleiner Parcours mit ein paar Kisten zum Drüberhüpfen, danach kam eine 3-4m hohe Schrägwand, die man per Seil überklettern sollte, gesagt, getan. Der Weg in die schlussendlich ultimative Hölle, dem berüchtigten Walk of Fame, 2 Kilometer voller Hindernisse vor dem Ziel, führte dann durch knöcheltiefes Wasser am Rand der Saale entlang, gottseidank hier nicht auch noch schwimmen.
Aber Getting Tough wäre nicht Getting Tough, wenn nicht sofort für Wasser aus der Gegenrichtung gesorgt würde. Den Eingang zum Walk of Fame markierte eine weitere Schrägwand mit Seilen. Der kleine, aber feine Unterschied? Richtig! Sturzbachartig wurde man von oben begossen. Mal wieder. Abgesehen von der Sintflut kämpfte man um die paar wenigen Seile, sowie gegen jeden, der auf dem rutschigen Holz keinen Halt fand und kreuz und quer hin und her schlitterte. Diese Höllengeburt hatte zuvor tragischweise den Lokalmatador aus dem Rennen genommen. Wie durch ein Wunder blieben wir verschont. Trotzdem hatten wir allerspätestens an dieser Stelle gestrichen die Schnauze voll von jeder Form von Wasser.
Und Genau darauf hatte das Team um den Cheforganisator "Kallinator" wahrscheinlich gelauert und sich nun gedacht: "So, und jetzt ficken wir euch richtig. Wir brauchen noch mehr arschkaltes Wasser, das mit unverhältnismäßigem Druck von oben runterkommt. Und damits im Kopf nochmal extra wehtut, müssen die Idioten richtig langsam drunter durchrobben!" Das THW hatte dann wahrscheinlich noch ein paar Pumpen und Schläuche über und so kam eins zum anderen und wir zu diesem erneuten Höllenhindernis. Wir litten Qualen und das Finale hatte offiziell begonnen. Die Knallgas-Assassinen waren sich an dieser Stelle einig. Sollte noch einmal Wasser in dieser Größenordnung kommen, wäre der Ausgang des Rennens ungewiss.
Nochmal Räuberleiter aufs Podest, wieder runter auf die Knie, Eins-gegen-Eins mit baumelnden Reifen. Wasser rechts, Wasser links, Wasser oben. Langsam paarte sich Verzweiflung mit Hass. Nochmal aufwärts. Erschöpfte Gesichter rechts. Resignation links. Dann ein Rohr hinab rutschen. Freiheit - zumindest für den Moment. Gegebenenfalls noch kurz wo drüber springen, oder auch nicht. Wer wusste das schon noch so genau? Die Energie wurde in den Extremitäten gebraucht, Erinnerungen speichern kann man nach der Midlife Crisis. Nach der nächsten Kurve Beton-Us zum krabbeln. Standesgemäß natürlich mit ordentlich Schotter statt irgendwas vernünftigem. An dieser Stelle unser Beileid an die oberkörperfreien Krieger, die sich hier bestimmt die ein oder andere Bonusschramme sichern konnten. Alles was folgte und soweit das Auge blickte, war ein dunkler, wilder Malstrom aus Gemeinheiten, einzig und allein zu dem Zweck, den Läufern das letzte bisschen Kraft zu rauben. Aber was hatten die Jungs bei der Ansprache gesagt? "Mein Kopf und mein Herz werden mich tragen, wenn mein Körper schwach ist!" Bevor Kevins Herz aber damit anfangen konnte, brauchte er erstmal ein paar Züge an der Traumabewältigungs-Zigarette, die ihm von unserem Fanclub, der uns inzwischen mit besorgten Mienen am Streckenrand begrüßt hatte, bereitwillig zur Verfügung gestellt wurde.
Es folgte noch ein Snapshot für die Galerie, so kraftraubend lebensbejahend, dass wir ein Jahr unserer Lebenserwartung einbüßten. Es war ein Tanz mit dem Teufel - und er führte.
Wieder wurden Schotter-U-s unterkrabbelt. Ohne den Einsatz von Beinen, die den Dienst quittierten. Stattdessen zog man sich wie ein lahmender Hund über den eisigen Kies. Der Weg war gesäumt von abgerissenen Startnummern, Handschuhen und Männertränen.
Es ging abwechselnd über mannshohe Haufen aus Traktorreifen, Steilwände, unter einem Auflieger inklusive Yacht durch, wieder Steilwände, wieder Reifen, riesige Kabeltrommeln, zwischendurch mal Heuballen, die kaum auf Brusthöhe waren, aber trotzdem zur Mammutaufgabe avancierten, über alte Panzerfahrzeuge, diverse kleine Holzkonstruktionen, nicht mehr zu schaffende Monkeybars, einen Haufen verschrotteter Autos, zu allem Überfluss erneute Wassercontainer und anschließend noch ein zum Glück recht harmloses Stromhindernis. Zwischendrin wurde diese Polonaise des Grauens dann unterstützt durch imposant hohe Hindernisse, die erstmal überwunden werden mussten. Beispielsweise eine 5-6m hohe Schrägwand, deren Rückseite man an einem Seil galant herabgleiten sollte. Bei voller Kraft und annehmbaren Temperaturen kein Problem, aber bei zwei nutzlosen Puddingbeinen und nassen, tauben Handschuhfingern musste man schon ordentlich aufpassen, damit es einigermaßen kontrolliert bergab ging.
Unsere inzwischen völlig besinnungslose Rumpeltrumpe schleppte sich ohne jegliche Ahnung, wie weit es überhaupt noch war, einfach nurnoch mit 10-Meter-Planungshorizont von Hindernis zu Hindernis, angefeuert durch Family & Friends an der Seitenlinie.
Bis es dann kam wie es kommen musste. Wenn du keine Exit strategy hast, dann kommt die Exit strategy zu dir. Und wo sonst könnte dich das Fehlen eines Planes so hart treffen wie am gefürchtetsten Hindernis des Tages: dem Horrible Hayball from Hell. Benny tat einen beherzten Sprung vom Heuballen, kurz abschütteln, ein Blick zurück, Truppe durchzählen. Eins - das war's. Kevin war auf dem Heuballen zurückgeblieben, die bedrohlichen Krämpfe von früher jetzt voll durchschlagend. Sich wie ein Wurm windend, ging es weder vor noch zurück. Der technische Knockout drohte. Benny indes war natürlich keine Hilfe. Er stand festgefroren und zitternd 5 Meter entfernt und hoffte darauf, dass sich die Krise von allein behob. Sie tat es nicht. Erst ein aufmerksamer Mitstreiter konnte die Krämpfe durch beherztes Dehnen lösen. Wir werden ihm auf ewig dankbar sein. Kein Scherz, denn allgemeine Hilfsbereitschaft war zwar auch bei diesem Lauf präsent, aber in merklich geringerer Ausprägung als bei anderen Läufen.
Langsam ging es weiter. Bloß nicht mehr zu viel Fahrt aufnehmen, um dem Wind-Chill zu entgehen.
Nurnoch auf den Felgen humpelnd bogen wir auf die Zielgeraden. Nochmal ein letztes hohes Hindernis, ein Stahlgerüst heraufklettern, dann Firefighterlike episch an der Stange abrutschen, zwei mal. Als würden nichts anderes tun, Schritten die zwei Helden stoisch nach vorn, griffen an die Stange - und rutschten aus Angst vor Invalidität in einem Tempo herunter, dass keiner Slow-Mo bedarft hätte. Um das Klischee zu bedienen, hätte nurnoch das langgezogene Quietschen bei ansonsten völliger Stille gefehlt. Hauptsache heil runtergekommen, weiter, noch auf ein Netz hinaufklettern, von dort aus eine Konstruktion aus Holzbalken herunter, das Ziel war schon in Sicht. Endlich, gottverdammt. Wir fassten letzten Mut und wussten, jetzt würden wir es schaffen, nurnoch drei bis vier Hindernisse aus größteils Beton lagen zwischen uns, der so begehrten Medaille und einer kuscheligen Rettungsdecke.
Bring it home, boys!
4... Betonwand aus Blöcken, die kaum genug Griff zum dran hochwuchten boten.
3... Halber Betonzylinder, easy ride.
2... Nochmal Blöcke, bzw. U-s, die so zugefroren waren, dass Benny fast noch einen unfreiwilligen Breakdance hinlegte.
1... Noch mehr Betonschalen zum durchkrabbeln. Auf deren anderer Seite stieß man hervor, vernahm den rettenden Pieps der Zeitnahme, und kostete den süßen Nektar der Erlösung.
Schluss. Aus. Feierabend.
Während Kevin nach einem kurzen, bromantischen Abklatschen schon wieder zielstrebig in den PR-Modus schalten, Batterien an Brofists verteilen und mit der 150 Gramm schweren Finisher-Medallie wedeln konnte, war Benny erstmal damit beschäftigt, Tränen der Erleichterung niederzukämpfen.
Kein Finish anderer Läufe war vom Feeling her vergleichbar. Der Stolz, diese Tortur erfolgreich hinter sich gebracht zu haben, sagen zu können : "Ja Mann, wir haben den Getting Tough gerissen!", da kommt kein Xletix und schon gar kein "Strongman-Run" auch nur ännahernd ran. Dazu trägt auch bei, dass man von den teuflischen Fadenziehern Kalinowski und Ertelt persönlich beglückwünscht wird. Von den 3200 angetretenen Läufern hat fast ein Drittel kapituliert oder sich verletzt, aber wir steckten nach 5 Stunden und einer Minute endlich unter unserer wohlverdienten Goldfolie. Die hängenden Köpfe richteten sich langsam auf, die Frequenz des Zitterns sank, und spätestens als Kevin die Fluppe im Mundwinkel hatte war der Anflug eines Lächelns zu erkennen. Die entstandenen Bilder sprechen Bände. Anstandslos übergaben wir unsere geschundenen Körper und Seelen unserer Supportcrew.
Diese packte uns prompt nach dem Umziehen ins bereits vorgewärmte Championmobil und schiffte uns müde, aber sackzufrieden nach Hause. Eine warme Dusche, Sauna und einen Haufen frisch für uns gegrillte Rostbratwürste und Brätel später waren wir wieder fit genug, uns zünftig zulaufen zu lassen. Der zu erwartende Muskelkater aus der Hölle nahm erst noch Anlauf, und so fuhren wir gegen 20 Uhr geschlossen wieder zurück auf die Bleichwiese zur offiziellen After-Race-Party. Diese Gelegenheit hatten wir bei bisherigen Events, sofern vorhanden, nie genutzt und so freuten wir uns umsomehr, einmal nicht direkt den Heimweg antreten zu müssen. Für die Feier hatten deren Veranstalter keine Kosten und Mühen gescheut. Wir waren froh, dass unsere orangenen Teilnehmerbändchen die Strapazen überstanden hatten, denn für die Entscheidung, die besagten Kosten in üppiger Höhe von 6€ auf Besucher ohne Band umzulegen, kann ich persönlich -obschon betriebswirtschaftlich nicht ganz unbeleckt - nur wenig bis gar kein Verständnis aufbringen. Dafür waren die Sitzgelegenheiten zu wenige, und die Getränke zu teuer. Wir wandten uns also unserem wahren Talent zu und bestellten Bier direkt in 1-Liter-Gefäßen, derer einige prompt in die private Sammlung überführt wurden. Der Abend klang aus mit einem abwechslungsreichen Bühnenprogramm und regem Erfahrungsaustausch mit anderen Mitstreiterin, allesamt platt wie die Flundern.
Was bleibt ist ein geschundener Körper, Kältetrauma samt Vietnamflashbacks beim Milchshake trinken, und eine nicht zu untergrabene Portion stolz.
Getting Tough-The Race hat sich ansatzlos an Platz 1 unseres persönlichen OCR-Rankings gewuchtet. Nicht zuletzt wegen guter Orga (auch wenn die abschließende Infomail sehr spät kam) und absolut vernünftigem drumherum, sondern auch wegen einem Lauf der in dieser Form an Anspruch kaum zu überbieten ist, und natürlich einem Gesicht, bzw. einem Team, das so hinter seinem Event steht, dass es auch noch den letzten Mohikaner persönlich von der Ziellinie kratzt.
WHO AM I? - I AM A CHAMPION!
Quelle: Facebook